Wir haben die Firma in Kapstadt in Südafrika besucht – in Kombination mit unserer diesjährigen Cape Epic-Berichterstattung, die wir praktisch zeitgleich realisieren konnten.
Im Video: Hausbesuch bei Leatt in Südafrika
Wie schützt man sich vor Genickbrüchen? Wie alles anfing
Leatt hat seinen Hauptsitz direkt in Kapstadt, Südafrika, und ist mittlerweile ein umfangreicher Anbieter von Halbschalen- und Integralhelmen, Bekleidung und Schutzausrüstung wie Knie- und Ellbogenprotektoren bis hin zu Schuhen und neuerdings auch Komponenten wie Pedalen und Lenker (Leatt Ceramag). Das Portfolio deckt dabei nicht nur den Gravity Mountainbike-Bereich ab, sondern reicht bis in den Cross-Country- und natürlich den Enduro- und Motocross-Sport, aus dem Gründer Chris Leatt ursprünglich stammt.


Leatt war die allererste Firma, die die Idee zu solch einer Nackenstütze hatte – und das ist mittlerweile über 20 Jahre her. Der Ursprung dieser Innovation war ein tragischer Vorfall, den Gründer Dr. Chris Leatt selbst erlebte. Chris fuhr damals leidenschaftlich gerne Enduro-Motorradrennen in Südafrika, bei einem Rennen stürzte ein Bekannter von ihm schwer. Er versuchte damals noch, dem Verletzten zu helfen – leider erfolglos. Die spätere Autopsie bestätigte, dass Chris’ Freund an einem doppelten Genickbruch verstarb.

Seinem Sohn wollte Chris das Motorradfahren erst erlauben, wenn er eine Lösung entwickelt hatte, um solche Verletzungen zu verhindern oder zumindest zu mindern. Dies war nicht nur der Startpunkt für die Entwicklung des Leatt Braces, sondern zugleich die Geburtsstunde des Unternehmens, das er zunächst als Platzhalter nach seinem Nachnamen benannte – und schlussendlich einfach dabei blieb.
Being a father, I really wanted to stop my son from riding until I had found a solution.
So ging es also an die Arbeit, einen Nackenprotektor zu entwickeln. Die ersten Prototypen des Leatt Braces waren handgefertigt – zuerst viel Schaumstoff, dann laminiert mit Glasfaser und mit Techniken aus dem Bootsbau, geschliffen und lackiert. Aus labbrigen Prototypen wurden die heute bekannten Hightech-Produkte aus Komposite-Werkstoffen und Carbon. Mittlerweile ist der Leatt Brace eines von sehr vielen Leatt-Produkten rund um den Protektoren-, Bekleidungs- und Komponentenbereich.





Die Entwicklung: Wie entsteht ein Leatt-Produkt?
Rund 30 Personen arbeiten bei Leatt in Südafrika. Im Großraumbüro vor Ort finden vorwiegend die Produktentwicklung und das Marketing statt, insbesondere im Bereich Schutzprodukte. Zusätzlich gibt es in Kanada drei Produktmanager sowie sechs weitere in Europa. Letztere konzentrieren sich stärker auf Bekleidung, Schuhe und Handschuhe. Und wie werden nun neue Produkte bei Leatt entwickelt? Ein Beispiel für einen solchen Prozess zeigen wir euch am Beispiel eines neuen Oberkörper-Protektors für Frauen, den uns Mitarbeiterin Skye zeigt.
Skye arbeitet bei Leatt als Industrie-Designerin, zeichnet unter anderem für Oberkörper-Protektoren verantwortlich und demonstriert uns ihren Schaffensprozess an der aktuellen neuen Damenlinie.

I do all of the chest and body protectors. What I’m working on at the moment is a lady specific range.
Der Prozess beginnt mit der Entwicklung einer Basiskontur; einer Form, die ergonomisch möglichst vielen Körperformen passt. Dabei helfen präzise 3D-Scans aus dem Rechner. Anhand dieser Kontur werden die Komponenten designt, schick gemacht und ein erster Prototyp im 3D-Drucker erstellt.


Bevor es zu einem funktionsfähigen Modell kommt, werden umfangreiche Passformtests in verschiedenen Größen durchgeführt – wie genau das am Modell aussieht, seht ihr unten im Kapitel. Wenn das Ergebnis überzeugt, wird das Werkzeug zur Serienfertigung produziert und die Prototypen gebaut. Nun kann es mit Tests weitergehen: Passform in Aktion, Crash-Tests und mehr. Wenn alle Kriterien erfüllt sind, wird das Produkt zur Produktion freigegeben.
3D-Druck bei Leatt: vom digitalen Modell zur realen Form
Um solche Produkte als Passform- und Ansichtsmodelle zu produzieren, besitzt Leatt im Hauptsitz eine ganze Reihe von 3D-Druckern, die je nach Anwendung mit verschiedenen Technologien arbeiten. Dabei vertrauen die Leatt-Mitarbeiter auch in Sachen Helmen nicht nur auf digitale CAD-Modelle, denn Haptik und Optik lassen sich am besten mit physischen Modellen beurteilen. Ein Problem dabei: mal eben einen ganzen Helm drucken dauert Tage. Wie Leatt das Problem löst?

Erste Modelle werden erst mal in verkleinertem Maßstab gedruckt, ein Helm zum Beispiel in 60 % der Originalgröße. So kann das Team Design-Entscheidungen innerhalb eines Tages bewerten und verbessern, bevor es an die richtige Größe geht.
On the computer, it’s difficult to get a feel for the physical field. It’s always better to have a model in hand.
Passt das verkleinerte Modell schließlich in Optik und Form, wird es in Originalgröße final erneut gedruckt, damit auf Basis dessen die Entwicklung voranschreiten kann. Nun geht es an die Funktionstests: Polster, 360 Turbines, Goggles und andere Zubehörteile werden integriert und angelegt, um sicherzustellen, dass nun auch die Technik mit dem Design zusammenspielt.


Erst digital crashen, dann im Labor
Tests sind ein zentraler Bestandteil bei Leatt, sowohl digital als auch physisch. Der erste Schritt beginnt am Computer mit komplexen Simulationsprogrammen, die Unfallszenarien analysieren und die richtigen Crash Tests im Labor ergänzen. Dabei lassen sich Aufprallwinkel, Kräfte und Rotationen exakt nachbilden – angesichts der mittlerweile jahrelangen Erfahrung von Leatt im Protektoren-Bereich ein hilfreiches und präzises Instrument. Zwar kann man sich nicht auf Simulationen alleine verlassen, diese helfen laut Leatt aber, neben Geld primär ordentlich Zeit in der Entwicklung zu sparen.


Neben den Tests einzelner Komponenten werden auch digitale Crashtest-Dummys in den Analysen eingesetzt, bei denen die Nackenbelastung beim Aufprall geschätzt werden kann. So lässt sich untersuchen, wie sich neue Helmtechnologien auf den Kopf und Körper auswirken und wie stark Kräfte vom Kopf auf den Nacken übertragen werden.
Wir können uns nicht nur auf Simulationen verlassen, aber sie spart Zeit und Geld – und verhindert, dass wir zu früh Werkzeuge anfertigen müssen.
Einer der Test-Dummies, die verwendet werden, ist der „Hybrid-III-Test-Dummy“ – und das ist derselbe Dummy, der auch im Labor vorgeschrieben ist. So können Simulation und physische Tests direkt miteinander verglichen werden.
Basierend auf diesen Simulationen wird anschließend im hauseigenen Testlabor weitergearbeitet und es geht an die richtigen Tests. Zwar ist das Labor eher klein, beinhaltet aber die wichtigsten Testaufbauten, die von Leatt benötigt werden. Neben vielen kleinen Stationen befindet sich hier auch das Herzstück des Labs, das gleichzeitig auch die erste Teststation überhaupt war: das „Neck Brace Test Rig“, ein Pendelprüfstand mit eingebautem Dummy.
Dieser 77 kg schwere (und somit laut Leatt einem typischen Unfallprofil entsprechenden) Test-Dummy ist ausgestattet mit Gyroskopen und Beschleunigungssensoren im Kopf sowie Sensoren im Schlüsselbein sowie im Brust- und Rückenbereich. Außerdem kann der Dummy mit unterschiedlichen Hälsen (motorradspezifisch und automobiltypisch) ausgestattet werden.




Die bisherigen Tests zeigen, dass Nackenstützen das Risiko von Schlüsselbeinbrüchen um ca. 45 % reduzieren können.





Im firmeneigenen Lager befinden sich zahlreiche Helme, Protektoren und Nackenstützen anderer Hersteller. Leatt testet nämlich regelmäßig Konkurrenzprodukte mit. Nicht nur zur Qualitätssicherung, sondern auch zur gezielten Weiterentwicklung der eigenen Produkte.

Neben Schutzwirkung spielt auch die schon erwähnte Passform bei Leatt eine zentrale Rolle. Hierfür gibt es einen eigenen Bereich mit unzähligen Torsos und Mannequins vom Kleinkind bis zum Erwachsenen, von schlank bis eher kräftig in verschiedensten Varianten. So wird geprüft, wie Helme, Protektoren und Kleidung auf verschiedenste Körperformen passen. Mit seiner schieren Masse beeindruckend ist das interne Lager für Oberkörper-Protektoren: Zwischen 300 und 400 Musterstücke hängen auf Kleiderständern, die alle für wiederholte Passformtests verfügbar sind. Ein weiteres Testlabor speziell für Protektoren befindet sich direkt nebenan.


Medienproduktion aus eigener Hand
Egal, ob Produktvideos, Erklär-Clips oder High End-Fotos der neuen Klamotten: Die komplette Medienproduktion der südafrikanischen Firma findet im eigenen Haus statt. Neben den Produktfotos liefert dabei der Standort Kapstadt an sich praktischerweise perfekte Voraussetzungen: Die Landschaft drumherum ist atemberaubend und bietet gewissermaßen ganzjährig perfekte Fotokulissen – siehe auch Cape Epic, dessen Start gerade einmal zehn Minuten vom Leatt-Hauptquartier stattfand. Den besten Beweis für einen idealen Foto-Standort lieferte dabei eine bekannte Komponentenfirma aus Deutschland, die während unseres Besuchs ebenfalls in Südafrika für Fotos weilte.
Drei Studios stehen Leatt zur Medienproduktion zur Verfügung: ein Produktvideo-Studio, ein Bekleidungsstudio für Ganzkörper-Aufnahmen sowie ein Fotostudio für Produktshots und Makro-Aufnahmen. Das Hauptstudio ist zugleich Materiallager für kommende Kollektionen. Die Aufnahmen werden direkt gesichtet, bearbeitet und für den Einsatz vorbereitet.








Und damit schließen wir unseren Besuch bei Leatt ab – vom digitalen Prototyp bis hin zur final fotografierten Jacke passiert praktisch alles direkt in Südafrika.
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Kommentare
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Hausbesuch bei Leatt: Wenn der Crashtest-Dummy durchs Labor rauscht
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Sehr spannend. Danke für diesen Eindruck.
Mein natürliches Habitat war über 20 Jahre lang der Moto Cross Track und Feld, Wald und Wiese per Wettbewerbsenduro. So trage ich schon lange Leatt Klamotten, mittlerweile auch auf der Reiseenduro einiges aus der noch recht jungen Adventure Gear Range.
Folglich ist Leatt für mich auch ein gerne genommener Ausrüster auf dem MTB. Ich mag das Zeug einfach.
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