Werkstattbesuch bei Giant Germany
Giant ist der größte Fahrradhersteller für hochwertige Bikes der Welt – seit 1972 entstehen in Taiwan Bikes der eigenen Marken, Giant baut aber auch für viele andere Marken. In Deutschland firmiert Giant seit 1987 als Giant Deutschland GmbH und blickt damit auf eine lange Historie im Fahrrad-Handel und speziell im deutschen Fahrrad-Handel zurück. Als Fachhandelsmarke kooperiert der Hersteller vor allem mit dem Einzelhandel, führt aber auch komplett eigene Giant Stores.
Vom Standort in Erkrath zwischen Düsseldorf und Wuppertal wird seit Anfang des Jahres neben dem deutschen Markt auch der österreichische Markt bedient. Hier sitzen Einkauf, Innendienst, Marketing, … und das gesamte Serviceteam, mit dem wir uns am Tag unseres Hausbesuches primär unterhalten haben.
Konzernstrukturen treffen Leidenschaft
Dieses Kapitel soll ein kurzes werden. Aber in meinen Augen ein wichtiges. In meinen Jahren in der Fahrradbranche, sei es auf Seiten der Medien oder der Industrie, habe ich Einblick in viele Unternehmen bekommen. Für mich persönlich immer ein wichtiges Merkmal: Wird rund um den Job herum noch Fahrrad gefahren? Leidenschaft fürs Produkt und Szenekenntnis sind meiner Erfahrung nach ein besserer Antrieb, einen guten Job zu machen, als die Motivation, möglichst viel Geld zu verdienen.
Auch Giant ist ein Wirtschaftsunternehmen, auch bei Giant sitzen Fachleute – das Schöne ist, dass alle Mitarbeiter, mit denen ich mich länger unterhalten habe, dieses Fachwissen größtenteils aus intrinsischer Motivation aus Spaß am Produkt haben. Hier sitzen Nerds, Mütter und Väter, Rennfahrer und Alltagsradler zugleich. Und das ist nicht nur sympathisch, sondern auch von Vorteil.
Mehrwerte parallel zur Produktperformance
Vorteilhaft wird genau diese Nähe zum Produkt, wenn es nicht mehr nur um die reine Performance, sondern den Produktlebenszyklus geht. Wer etwas tagtäglich benutzt, wird feststellen, wo Stärken und Schwächen liegen, und kann effizienter an Lösungen arbeiten. Für Vielfahrer werden neben der reinen Produktperformance andere Produktmerkmale stark betont: Haltbarkeit und Servicefreundlichkeit zum Beispiel, aber auch Mehrwerte abseits der Konstruktion. Welche Serviceangebote gibt es, welche Ansprechpartner gibt es, wie schnell kann mir im Problemfall in welchem Umfang geholfen werden? Muss mein Rad bei einem Defekt auf den Schrott oder kann es repariert werden?
Im Fall von Giant haben die Personen, die diese Fragen stellen, auch die Möglichkeit, Antworten darauf bereitzustellen und das Serviceangebot aktiv mitzugestalten. Das Service-Team entwickelt dazu spezielle Fachbereiche für Motor-, Akku- oder Laufrad-Instandhaltung, und gestaltet zusätzlich noch als Beta-Tester für digitale Systeme, aktiv das digitale Kundenerlebnis für Händler und Endverbraucher mit – parallel zu etwa 20.000 Mails und 14.000 Telefonaten im Jahr.
Mit dem Erstarken des E-Bikes stand jeder Hersteller früher oder später vor der Entscheidung: Eigenes System oder Zukaufsystem? Von den Branchenriesen haben lediglich zwei Hersteller den Weg des eigenen Systems gewählt. Giant setzt für seine E-Bikes zwar auf Yamaha-Hardware, geht jedoch bei Software und Systemkomponenten komplett eigene Wege. Das bietet Freiheiten – wie z. B. die Einbindung der Reifendrucksensoren in die Software des neuen Giant Reign E+ – aber gleichzeitig auch eine andere Verantwortung mit sich.
Als Hersteller muss sich Giant ganz natürlich um die Gewährleistung kümmern. Dass es in Gewährleistungsfällen im besten Fall so schnell wie möglich geht, ist wichtig, um den Kunden möglichst schnell wieder auf sein Rad zu bringen. Giant hat dafür in Erkrath eine Service-Werkstatt für seine Kompletträder. Das ist für Hersteller ziemlich Standard.
Was passiert aber außerhalb der Gewährleistung? Teure Ersatzteile kaufen? Nicht ganz – denn dafür hat Giant eigene Strukturen geschaffen.
MRC – die Giant-Motorwerkstatt
Was tun, wenn das E-MTB nach Ablauf der Gewährleistung oder freiwilligen Garantien kaputtgeht? Im Falle von Verschleißteilen, Federgabeln oder Laufrädern – größtenteils kein Problem. Der Ersatzteilmarkt ist groß und breit gefächert.
Im Falle eines Motordefekts sieht die Sache anders aus. Den Motor selbst zu zerlegen und instand setzen zu wollen, ist keine gute Idee, schließlich fehlen Ersatzteile und sind nicht verfügbar. Außerdem ist die Arbeit am Motor etwas komplexer und erfordert ein Auslesegerät. Also einen komplett neuen Motor kaufen? Teuer. Was tun?
Giant hat die Möglichkeit, dem Kunden in Form von Reparaturdienstleistungen entgegenzukommen. Statt den Motor selbst zu öffnen, lässt man lieber Puky ran. Bis zu 50 % der Kosten eines neuen Motors – je nach Umfang des Defekts – muss man einplanen, bei etwa 14 Tagen Durchlaufzeit zu Stoßzeiten. Andersherum: Mindestens ca. 50 % der Kosten eines neuen Motors spart man sich hier.
Je nach Art des Gebrauchs, Häufigkeit, Bedingungen und anderen äußeren Faktoren kann man aber auch für etwas mehr als die Kosten eines Gabelservices auch einen Motorservice vorsorglich in Anspruch nehmen. In diesem Fall wird zerlegt, gereinigt und neu gefettet. Wenn nötig, werden direkt noch neue Lager eingesetzt, um den nächsten Servicezyklus zu verlängern.
Gute 200 Motoren wurden im Jahr 2022, als Giant seine Motorenwerkstatt in Deutschland etabliert hat, repariert. Seitdem hat sich die Anzahl der reparierten Motoren mehr als verdoppelt. Luft nach oben ist aber noch: Tobias Hoffmann, der das Projekt administrativ betreut, erhofft sich jedenfalls höhere Stückzahlen, um die Ersatzteilkosten im Einkauf und die Endverbraucherpreise senken zu können.
EPSC – die Akku-Frischzellenkur
In eine ähnliche Richtung geht es im Bereich der Akku-Aufbereitung. Anstatt direkt einen neuen Akku zu verkaufen, wenn die Kapazität mit der Zeit nachlässt, kann man hier in einem gewissen Rahmen ein bisschen frischen Wind hereinbringen.
Grundsätzlich verbaut Giant immer rückwärtskompatible Akkus, sodass einem Austausch bei einem Defekt oder einem Kapazitätsupgrade nichts im Weg steht. Die Hauptbatterie kostet aber – gerade wenn das E-Bike schon etwas älter ist, kann der Akkutausch wirtschaftlich gesehen zum Totalschaden werden.
Günstiger ist die Aufbereitung. Dazu erklärt uns Daniel, dass mit alterndem Akku gegebenenfalls Zellen nicht mehr durch den normalen Ladevorgang angesprochen werden – durch abweichende Restkapazitäten zu den anderen Zellen werden diese Zellen schlicht nicht mehr mit Strom versorgt. Gerade für die Personen, die eine sprunghafte Reduktion der Kapazität oder Reichweite feststellen, kann die Akku-Aufbereitung Gold wert sein.
Durch gezieltes Tiefenentladen wird hier versucht, alle Zellen wieder auf das gleiche Kapazitätslevel zu bewegen. Im Anschluss sollten die Zellen, die vorher nicht mehr aufgeladen werden konnten, dann auch wieder ansprechen.
Im Normalfall sind 10–20 % Kapazitätsrückgewinnung erreichbar – in Ausnahmefällen sogar satte 25 %. Bei etwa 5 Tagen Durchlaufzeit wird dieser Prozess mehrmals angewendet, um das bestmögliche Ergebnis zu erzielen.
LRSC – Cadex / Laufradwerkstatt
Als drittes, von der Servicewerkstatt losgelöstes Department, setzt Giant auf eine eigene Laufradwerkstatt. Immer öfter werden Laufräder vom Händler nicht mehr selbst bearbeitet, sondern an den Hersteller geschickt – sei es aus Zeit-/Kapazitätsgründen oder wegen der stetig steigenden Komplexität von Systemlaufrädern.
Als ich Seppo und Andreas an ihrer Werkbank besuche, ist gerade ein Cadex-Laufrad eines Händlers auf dem Zentrierständer. Während sich äußerlich nichts abzeichnet, sieht man beim Blick in den Freilaufkörper: Das Laufrad durfte schon ordentlich Kilometer fressen. In diesem Fall geht es aber nicht um die Lager und den Freilauf, sondern die Carbon-Speichen, von denen einige ausgetauscht werden müssen.
Bei bis zu 40 € UVP pro Carbon-Speiche kann es schnell empfindlich teuer werden, wenn man nicht weiß, was man tut. Genau dafür ist das Laufrad-Team aber da.
GRA – Giant Retail Academy
Als Fachhandelsmarke bietet Giant diese Dienstleistungen natürlich nicht direkt an, sondern über den Händler. Damit dieser auch vor Ort direkt helfen kann, baut Giant seine Retail Academy stetig aus, also sein Händlerschulungskonzept.
Wer im Handel arbeitet, kennt auch das – technische Neuerungen werden geschult, Federgabel-Service wird geschult – bei Giant schult man entsprechend auch den Umgang mit dem Motorsystem. Das passiert entweder intensiv vor Ort in Erkrath oder aber über eine Online-Plattform. Vor allem die Mechaniker werden so mit den Systemen vertraut gemacht und können bereits vor Ort Probleme lösen, ohne den Weg über Giant gehen zu müssen.
Sowohl Motorwerkstatt als auch Laufradservice und Akku-Aufbereitung sind im Idealfall also die Fallback-Lösung.
Fazit – schafft Giant tatsächlich Mehrwerte?
Unser Tag bei Giant war aufschlussreich – statt vom Marketing durch die Firma geführt zu werden, haben wir mit den Leuten gesprochen, die im direkten Kontakt mit den Händlern, oder euren Teilen sind. Authentische, informierte Gespräche, ordentliche Werkbänke und strukturierte Prozesse spiegeln den Erfahrungsschatz des Herstellers wider. Keiner der Arbeitsplätze blieb über den Tag unberührt, das Service-Angebot wird offensichtlich angenommen. So viel Endkundennähe, würde man bei einem solchen Branchenriesen gerade als Fachhandelsmarke vielleicht nicht erwarten – aber Giant denkt über den Gewährleistungszeitraum hinaus – und das finden wir hervorragend!
Was ist dir beim Kauf eines E-Bikes neben den Performance-Daten wichtig?
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4 Kommentare
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Leider findet sich kein Überblick,
Welche Modelle tatsächlich repariert werden....
Hätte zb einen älteren Shimano mit Fehler E 010 . [ Drehmomentsensor ]
Bike ist ein YT Decoy
Wäre allerdings gut, wenn die üblichen Motor-Anbieter etwas Konkurrenz bekommen.
Shimano repariert keinen defekten Drehmomentsensor,
Austausch Motor in Neu knapp 1000 Euro ohne Umbau.
Ist eigentlich ein Witz/ eine Frechheit.
Was andere Motoren angeht: Vielleicht ändert sich ja mit dem Recht auf Reparatur langfristig etwas zugunsten der Endverbraucher ...
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