Video: Erste Ausfahrt mit 32 Zoll-Laufrädern
32″-Laufräder – das nächste große Ding?
Vor einigen Jahren habe ich selbst den Schritt von 26“ auf 29“ mitgemacht. Weniger Federweg, zunächst noch etwas seltsame Geometrien. Fahrräder, die sich finden mussten. Die Herausforderungen der Umstellung: Kurze Kettenstreben, niedrige Überstandshöhe, niedriges Gewicht und natürlich hohe Steifigkeit der Laufräder. Doch wer initial dachte, dass 29″ wohl nur etwas für Hardtails und kurzhubige Fullies sein würde, der irrte. Heute sind 29“ bis hinauf in den Downhill-World Cup gesetzt; für große und für kleine Leute.
In den Nischen gab es schon immer mal 36“ Bikes – ob als April-Scherz (Link zum Fokus-Aprilscherz aus 2016) oder als ernst gemeinte Option für richtig große Leute (Craft Bike Days – Huhn Jersey Giant). Dann stellt jedoch auf der Europe 2025 Maxxis mit einem 32“ Reifen an einem durchaus spannenden Fully namens „Big Ben“ von Faction Bike Studio. Und Anfang Juli dann BMC mit einem wirklich aufwendig gemachten 32“ Prototypen, der hochspannende Custom-Parts vorweisen konnte (insb. den Vorbau, der sich über und unter dem Steuerrohr am Schaft abgestützt hat). Auf der Bespoked-Messe kam dann das bildschöne 32“-Hardtail von Bike Ahead Composites, davor das Zinn Cycles B.I.G. Serienbike auf 32 Zoll.
Kommt da der nächste Sprung bei der Laufradgröße? Und wenn das so sein sollte, woher kommt der Trend? Sind 32″ große Laufräder tatsächlich vorteilhaft im Sinne eines besseren Fahrerlebnisses? Oder haben wir es mit einer Scheininnovation zu tun, die am Ende vor allem mehr neue Produkte in den Markt drücken soll? Wer auf 32 Zoll wechselt, braucht schließlich einen neuen Rahmen, eine neue Gabel, neue Laufräder und Reifen. Also am Ende ein neues Bike.
Mein Interesse ist geweckt – insbesondere, weil ich mit 176 cm Körpergröße das Gefühl habe, dass die 32 Zoll für mich zu viel des Guten sein könnten. Was sagt das Forum? Die umfangreiche Diskussion der News-Artikel im Forum tendiert durchaus in Richtung des von der Industrie getriebenen Trends, da in einer Zeit der Kaufzurückhaltung die nächste Innovation naheliegend scheint. Gleichzeitig ist da jedoch die Erfahrung vom Wechsel von 26″ auf 29″ und die physikalisch nachvollziehbaren Themen wie mehr Traktion durch mehr Reifenaufstandsfläche am Boden sowie ein besseres Überrollverhalten.
Die Rolle der Laufradgröße
Die grundlegende Frage ist: Wie verhält es sich mit der Laufradgröße? Wer das Mountainbike als Sportgerät betrachtet, der wird schnell der These zustimmen, dass die Räder proportional zur Körpergröße wachsen müssten. Faktisch ist es jedoch so, dass Räder auch heute noch in der Regel in einer Rahmengröße entwickelt und getestet werden – und dann die weiteren Rahmengrößen davon abgeleitet werden. Die alternative These wäre, dass Laufradgrößen durch die Anforderungen des Einsatzbereiches und den genutzten Federweg vorgegeben sind. Und da wäre noch die Option, dass es neben 26″ keine weitere Laufradgröße geben dürfe.
Im Kontext der ersten These habe ich mir angeschaut, welche Verhältnisse sich zwischen verschiedenen Körpergrößen und Laufradgrößen ergeben. Die Ergebnisse sind interessant: relativ entspricht ein 26″ Laufrad für eine 165 cm große Person dem, was ein 32″ Laufrad für eine 200 cm große Person ist. Ein 27,5″ großes Laufrad bei 165 cm entspricht etwa einem 29er für 175 cm große Menschen und 32 Zoll für 190 cm Körpergröße.
Dann ein Anruf vom Chef: Thomas ist dran, ob ich in die Schweiz fahren könnte. Ein anderer Thomas, Thomas Stoll von Stoll Bikes, habe einen Prototypen aufgebaut, den ich fahren könnte. Dieses Angebot kann ich mir kaum entgehen lassen und so befinde ich mich Ende Oktober auf dem Weg nach Küblis in der Schweiz – kurz vor Davos/Klosters. Im Auto gehen mir ein paar grundlegende Gedanken durch den Kopf: Was sind die Vor- und Nachteile der jeweiligen Laufradgrößen?
Vorteile und Nachteile von 32 Zoll
Die grundsätzlichen Vorteile sind schnell erörtert (und ähneln exakt dem, was Anfang der 2000er Jahre rund um 29“ Bikes angedacht worden war):
Stärken
Schwächen
Greift man die oben genannten Thesen hinsichtlich der richtigen Laufradgröße wieder auf, stellt sich klar die Frage: Warum sollte eine Person mit 165 cm Körpergröße nicht auch von den Vorteilen eines 29″ Laufrades profitieren? Analog müssten sich auch 32 Zoll am Ende so durchsetzen, wie es 29 Zoll in der Vergangenheit getan hat. Der wirtschaftlich vorteilhafte Nebeneffekt für die Hersteller: Weniger Varianten und damit niedrigere Kosten. Insbesondere dann, wenn man die Kettenstrebenlänge zwischen den Rahmengrößen konstant hält.
Doch ab wann ist ein Rad zu groß? Ab wann schränkt es den Bewegungsspielraum auf dem Rad zu stark ein? Oder erzeugt Probleme wie einen Überlapp mit dem Fuß, so dass man beim Lenken anstößt? Und ganz praktisch wird irgendwann auch der Platz in und auf dem Auto knapp …
Stoll Bikes P32 32″-Prototyp
Und damit bin ich in der Schweiz. Stoll Bikes ist ein Anbieter von Mountainbikes und Rennrädern aus und für die Schweiz: die bei Bike Ahead Composites in der Nähe von Würzburg gefertigten Carbon-Rahmen (Hausbesuch Bike Ahead Composites) werden tatsächlich besonders stark in der Schweiz verkauft.
Projektstatus und Überlegungen
Keine zehn Wochen hat das Team von Stoll nach eigenen Angaben gebraucht, um den ersten Prototypen für 32 Zoll zu entwickeln. Dabei habe man auf dem weißen Blatt Papier mit den Laufrädern gestartet und dann das Bike in die Laufräder integriert. Um schnell zu sein, ist der Hauptrahmen aus Aluminium geschweißt, während der Hinterbau von einem Serienrahmen adaptiert ist. Die genaue Geometrie will mir Thomas noch nicht verraten. Aber gemeinsam mit Bike Ahead Composites werden derzeit die Formen und das Layup entwickelt. Und die ersten Vorbestellungen seien eingegangen.
Natürlich habe ich mich vor der Fahrt intensiv mit Thomas Stoll ausgetauscht, um mehr über seinen Prototypen zu erfahren. Er sieht das Thema 32 Zoll zunächst ganz klar im Rennsport rund um Cross Country und Down Country. Also bei Federwegen zwischen 100 und 120 mm. Perspektivisch erwartet er jedoch, dass bis hin in den Enduro-Rennsport die größeren Laufräder ihren Platz finden werden. Ursächlich seien hier die Erfahrungen, die das Team gemacht habe: Durchweg höhere Geschwindigkeit. So bringen die Maxxis Aspen Reifen in 32 x 2,4″ zwar zwischen 820 und 840 g auf die Waage. Der Prototyp wiegt mit Pedalen so wie auf den Bildern gezeigt 13 kg. Welches Gewicht in der Serie erreicht werden soll, lässt Thomas noch offen.
Trotz der positiven Eindrücke ist Thomas sich sicher, dass es auch weiterhin 29″ Laufräder geben werden wird. Nicht nur bei kleineren Fahrerinnen und Fahrern, sondern auch bei all denjenigen, denen es um mehr Agilität und Manövrierbarkeit geht. Und bei Einsatzbereichen mit sehr langen Federwegen, denn den Komfort einer 160 mm-Federgabel lässt sich kaum mit sieben Zentimeter mehr Laufraddurchmesser realisieren.
Das alles klingt so nachvollziehbar wie nüchtern: ein erster Hinweis darauf, dass hier nicht um der Innovation Willen neue Maße eingeführt werden sollen. Aber natürlich auch genau das, was ich in der Praxis herausfinden will. Womit wir auch bei der vorerst letzten Frage sind: Wird es neue Achs-„Standards“ geben? Hier kann Thomas zumindest für seinen Teil Entwarnung geben: Der Stoll Prototyp rollt auf den gewöhnlichen Boost-Maßen an Vorder- und Hinterachse. Es entsteht der Eindruck, dass die Bike-Industrie derzeit auf zu vollen Lagern sitze, als dass auf die Schnelle neue Varianten erzeugt werden würden. Punkt für uns Konsumenten.
Erster Test 32“ MTB – unterwegs auf dem Stoll P32
Kommen wir also zur spannendsten Frage: Wie fahren sich die 32 Zoll-Laufräder am Mountainbike? Dafür haben Stoll-Mechaniker Roger und ich ein aktuelles Stoll 29″-Bike sowie den P32-Prototypen gesattelt und auf einer kurzen Runde die Vergleichsfahrt gestartet. Gut 100 Höhenmeter Uphill, erst auf Teer und dann Schotter. Im Anschluss ein steiler, wurzeliger Trail mit ein paar Spitzkehren und offenen Passagen. Um die Bedingungen herausfordernder zu machen hat es am Wochenende zuvor stark geschneit, so dass wir nur knapp unterhalb der Schneefallgrenze unterwegs sind. Dazu frisches buntes Herbstlaub. Der Trail ist durchgehend nass und entsprechend rutschig. Bestzeiten werden hier heute nicht produziert, aber bei den herausfordernden Bedingungen kann ich sicherlich etwas über die Auswirkungen der neuen Laufradgröße auf Traktion und Fahrstabilität lernen.
Mein ganz eigener, subjektiver Eindruck: Beim ersten Aufsitzen fällt der Unterschied zum 29er tatsächlich weniger groß aus, als man das optisch vermuten würde. Beim Blick nach unten dreht sich da ganz schön viel Gummi. Doch die Sitzposition ist nicht wirklich anders: der steil abfallende Vorbau, der Lenker mit negativem Rise und das sehr kurze Steuerrohr sorgen dafür, dass der Stack am Ende des Lenkers gemessen grob vergleichbar ist mit dem eines 29ers. Gleiches gilt für die Innenlagerhöhe, die gegenüber dem 29er tiefer abgesenkt ist.
Auffällig werden die größeren Räder zunächst nur, wenn man schnell von links nach rechts hin und her lenkt: dann ist die größere Trägheit deutlich zu spüren. Spontan denke ich, dass ein breiterer Lenker helfen könnte. Nüchtern betrachtet stellt sich nach den ersten Spielereien jedoch heraus, dass das Gefühl unter realen Bedingungen wohl kaum auffällig sein dürfte. Abgesehen vom Lenkverhalten rollen die Räder ruhig und gut – auf Teer aber genau so gut oder schlecht wie die bekannten 29-Zöller. So ist auf Teer zunächst nur festzuhalten, dass der Prototyp mit gut 13 kg (inkl. Pedalen) ein ganzes Stück schwerer ist, als das Serienrad mit den kleineren Laufrädern.
Auf Schotter rollen die großen Räder effektiv gleich auf. Insbesondere bei starken Antritten im Stehen ist ein klares Plus an Traktion zu spüren. Und bergab? Hier ist der Eindruck der ersten Ausfahrt eindeutig: Das 32 Zoll-Bike ist bergab schneller und kontrollierter als das Pendant mit 29″. Trotz des minimalen Profils des Maxxis Aspen Testreifens (32 x 2,4″) habe ich erstaunlich viel Traktion und kann so kontrollierter fahren und später bremsen. Dabei fällt auf, dass wohl eine 200er-Scheibe an der Front passend wäre, denn die verbauten 180 mm wirken hinreichend zahnlos. Hier wirken sich die längeren Hebel deutlich aus.
Beeindruckender noch als das Mehr an Traktion ist jedoch das bessere Überrollverhalten. Deutlich entspannter geht es über Wurzeln und das Rad bleibt besser in Schwung. Umgekehrt ist weniger Körpereinsatz nötig, um das Rad in Schwung zu halten. An Roger dranbleiben kann ich so zwar trotzdem nicht, doch im direkten Vergleich gelingt es mir sowohl bergauf, als auch bergab mit dem 32 Zoll-Bike flüssiger – insbesondere dann, wenn es verblockter und wurzeliger wird. Nur wenn es richtig steil oder eng wird (Stichwort Spitzkehre), geht mir die Luft unter dem Hintern aus. Ich stehe insgesamt höher / weiter nach vorne gelehnt, als mir gefühlt lieb ist. Ein Teil davon ist noch auf den Sattel zurückzuführen, der sich am Prototypen nicht voll versenken lässt. Doch am Ende erfordert eben doch das federnde Hinterrad Luft.
Wir fassen also zusammen: Ist es schneller? In den meisten Fällen ja! Ist es weich? Zumindest bei meinem Gewicht und den verbauten BikeAhead BiTurbo RS-Laufrädern definitiv nein. Ist es schwerer? Ja. Macht es mehr Spaß? Das kommt ganz drauf an. Die Traktion war beeindruckend. Doch um das Bike dynamisch zu fahren, hätte ich mir etwas mehr Luft unter dem Hintern gewünscht. Und vielleicht auch andere, trockenere Bedingungen oder alternativ einen einfacheren Trail. Beeindruckend war der erste Versuch auf 32 Zoll auf jeden Fall.
Fazit: Rollen wir alle bald auf 32 Zoll?
Stehen 32 Zoll vor dem Durchbruch? Wir erwarten, dass sich in den kommenden Monaten zunehmend Bewegung in die 32"-Entwicklung kommen wird. Höhere Traktion und das bessere Überrollverhalten waren bei der ersten Ausfahrt deutlich zu spüren - und ausgeprägter, als ich zunächst erwartet hätte. Nun geht es darum, dass die Rahmenhersteller stimmige Geometrien entwickeln und überzeugende erste Räder auf die großen Walzen stellen.
Wenn noch eine Referenz zum Wechsel von 26“ auf 29“ erlaubt sei: Nachdem die ersten 29er in den frühen 2000er Jahren die breitere Masse erreichten, traten sie nicht unmittelbar ihren Siegeszug an. Stattdessen gab es nach einem ersten Teildurchbruch mit 27,5“ (oder 650b) eine neue Zwischengröße, die mehr Federwege ermöglichen sollte und ausgereiftere Geometrien hervorbrachte. Und die zumindest die 26“ komplett aus dem Markt drängte. Dann brauchte es einige Jahre, bis tatsächlich die 29er-Welle so richtig einschlug. Die schlussendlich passenden Geometrien ermöglichten so viel mehr Geschwindigkeit, dass das höhere Gewicht zur Nebensache deklariert wurde. Gleichzeitig veränderten sich die Strecken.
Zuletzt haben wir dann den Kompromiss mit Mullet-Konfigurationen (29“ Vorderrad, 27,5“ Hinterrad) gesehen - maßgeblich getrieben von mehr Platz für das Hinterrad; sowohl zum Einfedern, als auch als Bewegungsspielraum für den Fahrer oder die Fahrerin. So etwas gab es beispielsweise beim Specialized Big Hit schon einmal in der frühen Zeit des Freeride. Damals schon mit den exakt gleichen Argumenten, nur eben mit 26“ vorne und 24“ hinten. Sehen wir bald also 32" vorne und 29" hinten am Trail-Bike? Wir bleiben dran. Fest steht für mich: Weggehen wird das Thema nicht mehr. Freunden wir uns also damit an.
32″-Laufräder: was denkst Du – werden wir auch bald E-Mountainbikes damit sehen?
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So fährt sich das 32"-Mountainbike: Große Laufräder – ist das die Zukunft?
32"-Laufräder: was denkst Du - werden wir auch bald E-Mountainbikes damit sehen?
Da wird schon wieder eine neue Sau durchs Dorf getrieben

Endlich was in der Größe für Erwachsene 😅
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